Der Schriftsteller Peter Weiß hat für einen seiner Texte, der 1960 erschien, den Titel geprägt: „Der Schatten des Körpers des Kutschers“. Eine Realität nach der anderen wird in der Erzählung auf präzise Weise beschrieben und ausgelöscht. Der Schreiber ist ein besessener Beobachter, ein gewissenhafter Voyeur. Ein derartiges Vorgehen ist zunächst vor allem eine Frage der Methode, die uns von einer vertrauten Realität in eine unvertraute Realität hinüberführt. Bilder besorgen eine ebensolche Transformation. Alle Bilder in dieser Ausstellung tun dies in hohem Maße. Sie sind nichts anderes als Schaltstationen, Transformatoren, die selbst Gebilde von äußerster Profanität, den Weitertransport der Energie besorgen. Man sieht die Bilder und äußert sich analog in Bildern. Das hat mit einer Wahrnehmung zu tun, deren Stichhaltigkeit nicht sofort zu überblicken ist. Verunsicherung geht von den Bildern aus. Überträgt sich ihre zur Schau gestellte Penetranz auf den Betrachter oder irritiert die Malerei durch das bewusste Vorgehen der Künstler, die uns durch diesen Widerspruch in Zweifel und Ratlosigkeit versetzten?
Um Bild & Schrift geht es ursächlich und von Anfang an. Man kann alles aus dem Auge verlieren, nur nicht, dass eine bestimmte radikale Auffassung von Malerei vorliegt. Sie ist keinesfalls der Gegenstand, das Ziel oder Ergebnis einer Recherche, sondern das einzige Instrument. Seine Tauglichkeit stellt sich immer wieder in Frage. Das Scheitern ist Sache des Künstlers, aber auch Erfahrung des Betrachters. Es handelt sich hier nicht um ein bestimmtes eingeübtes Verfahren. Das war vielleicht früher einmal so. Die Künstler der Ausstellung „Bild & Schrift – Die Revolution in Hennef kann warten“ fordern heraus, und der Betrachter gegenüber zieht mit oder erhöht den Einsatz. Die Künstler kennen den Poker. Ihre Werke halten sich mehr an einer defensiven Linie, abwartend und bereit, erreichte Positionen zu verstetigen oder auch aufzugeben, die Mittel zu konzentrieren, und geradezu abgeneigt, spielerisch neue Kreationen mitzuteilen oder zu behaupten. Ein Künstler, der malend so wenig Maler ist? Allein der Augenschein spricht gegen ein solches Paradox. Bilder, sehr groß und wenig klein, sind da. Zeichnungen und Gouachen in allen Formaten. Die Künstler der Ausstellungen arbeiten schnell und mühen sich zugleich ab. Wahrscheinlich tun sie nichts lieber als Malen. Lesen ausgenommen, ist das Anfertigen von Bildern die Hauptsache. Verschiedenes andere verstehen sie vermutlich als reproduzierende Tätigkeiten. Malen dagegen ist auch bei professionellster Handhabung ein Gang über verschiedene bodenlose Gründe.
Bilder sind eine hinfällige Angelegenheit, ihr Anspruch auf Dauer ist physisch begrenzt. Das betrifft einerseits ihre Güte, ihre Qualität, anderseits ihre Haltbarkeit. Es kommen hinzu ihre nicht voraussehbare Wirkungsweise – auch auf den kritischen, zur Zerstörung bereiten Künstler, ihre beschränkte Belastungsfähigkeit, ihre inhaltliche Durchlässigkeit, kurz: ihr Potential ist schwer kalkulierbar. Es ist folglich besser zu schreiben als nicht zu schreiben. Gibt es vielleicht noch weitere Gründe für die Schlussfolgerung. Schreiben sei immer noch das kleinste Übel? Ja. Eines ist ganz simpel: weil man noch immer in vollem Bewusstsein des Risikos und der Schönheit im klassischen Stil schreiben kann. Das ist eine großartige Lehre in den Werken dieser Ausstellung, denn dort wird Bild um Bild ein ungeheures Interesse für das Altvertraute im scheinbar Neuen sichtbar. Die Vergangenheit taucht immer wieder unter neuen Vorzeichen auf. Alles bleibt, nur in abgewandelter Form, denn das Alte wiederholt sich unweigerlich im Neuen, das dann sofort wieder verschwindet.
Nils Emmerichs