Heather Sheehan

A weighing/ Eine Wägung

12.10.–17.11.2019
Kuratiert von Ewa Knitter und Pathmini Neuner-Ukwattage

Finissage mit Künstlergespräch am Sonntag, den 17.11. um 12 Uhr

 

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Ich möchte mit einer Frage beginnen, bzw. fortfahren die schon angeklungen hat:
Wie bzw. woher gelangt das Wissen zu uns?

Wenn wir die Erfindung der automatischen Waage, an deren Geburtstort wir uns hier in unmittelbarer Nähe befinden, und diese Ausstellung, der wir uns heute Abend widmen möchten, uns in einem gemeinsamen Bild vor Augen führen, um unseren Blick zu schärfen, an dem Einen, angesichts des Anderen, dann ließe sich eine Gegenüberstellung formulieren, die nicht dichothomisch zu verstehen ist, sondern vielmehr als zwei Seiten einer Medaille: Wissenschaft der Messtechnik vs. einer Poetik des Raumes, die Heather Sheehan in ihren Werken entfaltet. Liest sich das eine als eine Bewegung durch die Zeit, schließlich haben wir es zu tun mit der (Fortschritts-)Geschichte der Messtechnik, worin die Erfindung der automatischen Waage einen stabilen Punkt markiert, mit einem Davor und einem Danach, beschreibt das andere – die Ausstellung – eine Bewegung durch den Raum, der durch Risse, Löcher, Nahtstellen und Knoten charakterisiert ist. Aus dieser Poetik des Raumes, spricht eine räumliche „Mannigfaltigkeit“1, deren Erkundung sich Heather Sheehan in ihrem Schaffen angenommen hat. Es ist dies der Raum der Geburt, der Raum zwischen Frau und Mann, zwischen Haut und Bekleidung, der Raum der Intimität, der Geschlechtlichkeit, der Innerlichkeit, der Raum des Verborgenen, des Geheimnisses und des Primordialen, aber auch der Raum des diesseits und des jenseits – diesseits oder jenseits des Flusses, des Meeres, des Lebens. Demnach handelt es sich um Räume, die durch qualitative Eigenschaften gekennzeichnet sind, insofern als sie sensorische, topologische Räume gelten können, als Räume des Tastsinns, für die das Bild der blinden Frau, der Justitia mit verbundenen Augen emblematisch ist. Dies vor Augen geführt müssen wir die Diskontinuität dieser Räumlichkeiten erkennen, ihre genuine Unverbundenheit, die erst durch Techniken, Manöver, Operationen überwunden werden kann. Als eine davon gilt die Mythenerzählung, die dem frz. Philosophen Michel Serres zufolge den Brückenschlag von getrennten Räumen, von Rissen im Kontinuum ermöglicht. Erst der mythische Text vermag die Relation zwischen den Unfällen und Katastrophen des Raumes herzustellen. Auch im Werk der Künstlerin finden wir die basale Struktur des Mythos wieder: Heather Sheehan verknüpft, verknotet, webt, vernäht, überbrückt, verbindet, um Wege zwischen Orten herzustellen, die als vermeintlich getrennt gelten, ohne gemeinsamen Rand. Der Flickenteppich, dessen stoffliche Struktur nicht glatt und eben ist, sondern u.U. rauh, holprig, schroff, die Brücke, die den Fluss –den „Riss im Raum“ – überbrückt; das Treppenaus, das zwei Ebenen miteinander verbindet, das Gelenk am Knochen, das Scharnier, die Kreuzung sind alles Figuren, die wir bei Heather Sheehan finden und die allesamt Werkzeuge des Raumes darstellen.

Michel Serres hat in seinen Schriften jene Suche auf sich genommen, die Suche nach der Passage, die von der exakten Wissenschaft zur Wissenschaft des Menschen führt, oder, wie er sagt, „von uns zur Welt“. Um damit auf die eingangs gestellte Frage zurückzukehren, woher das Wissen zu uns gelangt, so wird man wohl antworten (und das könnten wir von Dir lernen, Heather), über die Passage, den Weg, die Konnexion zwischen disparaten Räumen, wie jenem der exakten Wissenschaft und der Wissenschaft des Menschen.

Pathmini Neuner-Ukwattage

1 Den Begriff prägte Michel Serres in seiner Raumtheorie, vgl. ders.: Hermes Bände I-V.