“Evoked by places and my performative actions, stories of simple women, working, serving over many centuries of time enter my consciousness.“ In diesen Worten der US-amerikanische Künstlerin Heather Sheehan offenbart sich eine Durchlässigkeit und schicksalhafte Affinität für das Ungesehene, Übersehene, nicht Zähl- und Erzählbare, für die nichtniedergeschriebene Wirrnis menschlichen Lebens und seine Grenzen ins Monströse, Geisterhafte. Sheehan ist zugleich das Monster unter dem Bett und das sich fürchtende Kind. Ihre Aufmerksamkeit für jenen an Gebäuden, Zimmern, Orten, Landschaften, haftengebliebenen Rest an Welt ist charakteristisch für die künstlerische Praxis der seit über 20 Jahren in Köln lebenden Künstlerin, die in den letzten Jahren ein bemerkenswert vielschichtiges Werk geschaffen hat. Ausgehend von der körperlich-materiellen Bedingtheit der menschlichen Erfahrung bearbeitet sie das soziale, geschichtliche und materielle Gefüge unserer Wirklichkeiten, um es in alternative, dem zeithistorischen Kontext enthobene Erzählungen einzuspeisen. Die Arbeit mit unterschiedlichen Gattungen und Medien wie Fotografie, Zeichnung, Plastik, Text, Duft, Beschaffenheit, Video und Performance erscheint dabei konsequent, spiegelt sie doch die Vielgestaltigkeit unserer Wahrnehmung wieder und verweist zugleich auf die Unzulänglichkeit der Materialisierungen.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein Werkkomplex, an dem die US-amerikanische Künstlerin seit über sechs Jahren arbeitete und der mit ihrer neuesten filmischen Arbeit burlap poem video nun zum Abschluss kommt. Ähnlich einer Klammer umfasst die Videoarbeit die über die letzten Jahre hinweg entstandenen Werke: Die Filmbilder des Videos werden von einem von der Künstlerin selbst gesprochenen lyrischen Text begleitet, den sie zu Beginn dieser Werkphase verfasste und der damit dem Video vorausgeht. Der Text wiederum ist Evokation einer anfänglichen sinnlichen Konfrontation der Künstlerin mit der Stofflichkeit des Sackleinens und dessen Spezifika wie Rauheit, Geruch bei Nässe, etc. die erneut das filmische Material durchwirken. Burlap poem video wird nun erstmalig in der Galerie Susanne Neuerburg zu sehen und zu hören sein.
Von Fotografie, über Zeichnung bis hin zu plastischen Arbeiten präsentiert die Ausstellung weiterhin eine Auswahl an Werken aus der burlap-Werkgruppe, die eine ganz spezifische materielle Geschichtlichkeit aufweisen und abbilden. Mit der Verwendung von Materialien wie Jute, Leinen, aus Naturfasern geflochtenen Seilen, Zinkwannen, Knochen, Holz und Stein erarbeitete die Künstlerin eine Materialikonographie, die auf die kulturhistorischen Randgebiete einer Alltagspraxis verweisen und ein Terrain jenseits von geschichtlichen Begrifflichkeiten besetzen. Gleichzeitig jedoch ruft Sheehans bisweilen archaische Materialität den geschichtlichen Kontext der Vorkriegsjahre und damit die Ideologisierung traditioneller Naturmaterialien im Nationalsozialismus auf. Diese semantische Doppelbödigkeit einer namenlosen, bewusst weiblich verwaisten Geschichte einerseits, die durch Sheehans performative, textuelle und bildliche Inszenierungen heraufbeschworen wird und eines konkreten Kapitels deutscher Geschichte andererseits erzeugt jene Unheimlichkeit und ein bisweilen spürbares Moment der Gewalt, die ihren Arbeiten anhaften.
Der Titel der Aussstellung a weighing / eine Wägung in der Galerie Susanne Neuerburg kann als Ausgangspunkt eines Versuchs der Künstlerin verstanden werden, den spezifisch-geschichtlichen Ort der Ausstellung mit dem eigenen künstlerischen und gedanklichen Verfahren zu verknüpfen: Die Räume der Galerie befinden sich auf dem Gelände der einstigen Hennefer Chronos-Werke, eine Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Maschinenfabrik, auf welche die Erfindung und nachfolgende industrialisierte Fabrikation der automatischen Waage zurückgeht. Dem Verdienst die „Wiege der Waage“ zu sein, muss das dunkle Kapitel der NS-Zwangsarbeit in deutschen Unternehmen während des Zweiten Weltkrieges als „Gegengewicht“ gegenüber gestellt werden: Auch die Hennefer Chronos-Werke beschäftigten zur Zeit des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter. Dieser geschichtlichen Struktur des Ortes versucht sich Heather Sheehan mit dem lexikalischen Repertoire des Wortes wägen /weighing anzunähern, um aus der Bedingung des Ortes „Profit zu schlagen“: das (Ab)Wiegen, Abwägen, Aufwiegen impliziert eine Bewegung, die mental oder physisch, durch ihre potentielle Unabschließbarkeit charakterisiert ist. Dem Vor- und Zurück des Pendels, des Körpers beim Wiegen eines Babys, des Gedankens, der hin und her gedreht und gewendet wird, ist die unendliche Wiederholung bereits inhärent, ausgehend von der Vorstellung, dass der Prozess des Wiegens selbst immer nur die ungefähre Annäherung ans Ideal darstellt, die stets von Neuem in Bewegung gesetzt werden muss.
Heather Sheehan wurde 1961 in Mt. Vernon, New York, USA geboren. Sie lebt und arbeitet in Köln.
Kuratiert wird die Ausstellung von Ewa Knitter und Pathmini Neuner-Ukwattage.